Es ist schon eine Zeit her, da berichtete eine Schauspielerin in einer Talk-Show über ihr Privatleben, dass sie ihren schwer kranken Vater bis zuletzt gepflegt habe. Und da fiel der absolut nicht ungewöhnliche Satz, dass sie darum gebetet habe, Gott möge ihren Vater von seinem Leid erlösen.

Gehen wir nun davon aus, dass es sich bei dem Gott, an dem die besagte Schauspielerin glaubt, um den christlichen Gott handelt, dass er also allwissend, allmächtig und gnädig ist. In dem Fall stellt sich die Frage, warum die Schauspielerin darum bittet, wenn Gott die drei besagten Eigenschaften besitzt. Zugegeben, der Tod, der sich abzeichnete und unweigerlich eingetreten ist, bestätigt sie in ihrem Glauben an die Existenz des Gottes, immerhin hat er ihr Gebet erhört. Warum aber hat sie überhaupt gebetet? Zweifelt sie an der göttlichen Allwissenheit, so dass sie Gott erst auf das Problem mit ihrem schwer kranken Vater hinweisen muss? Oder zweifelt sie an daran, dass Gott so gnädig ist, einem leidenden Menschen das zu versagen, was das Beste für ihn ist? Stellt das Gebet nicht eine Arroganz der Schauspielerin dar, indem sie davon ausgeht, dass sie besser als Gott weiß, was das Beste für ihren Vater ist?

Stellen wir uns hingegen vor, die Schauspielerin hätte nicht gebetet, in der Überzeugung, dass Gott - ohnehin gütig, allwissend und allmächtig - die beste Entscheidung für ihren Vater trifft. Hätte Gott das Unterlassen des Gebetes nicht als Abwendung empfunden? Dies konnte sich die Schauspielerin nicht leisten, immerhin weiß sie aus der Bibel, was Menschen widerfährt, die sich von Gott abwenden. Nun ist die Schauspielerin mit ihrem Problem in eine Zwickmühle geraten.

Hätte es sich nicht um ihren Vater, sondern um ein Haustier gehandelt, hätte die Schauspielerin nicht Gott um einen gnädigen Tod bitten müssen, sie hätte ohne weiteres einen Tierarzt fragen können, und dieser hätte das Tier von seinen Leiden erlöst.

Stellen wir uns auch vor, die Schauspielerin hätte nicht Gott, sondern einen kompetenten Arzt gebeten, ihren Vater von seinem Leid zu erlösen. Der Arzt hätte dieses Ansinnen ablehnen müssen, nicht weil er es nicht könnte, auch nicht, weil er nicht sicher sein kann, dass der Kranke, nicht doch wieder gesund werden kann, oder weil er keine Lust dazu hat, sondern weil ihm dies ein Gesetz verbietet. Warum, frage ich mich da, darf ein Arzt für einen Menschen nicht das tun, was bei Tieren als Gnadenakt empfunden wird? Warum gibt es ein Gesetz, dass ein Arzt nicht das tun darf, wofür man Gott bittet? Gläubige geben darauf eine Antwort: Sterbehilfe ist Mord. Sie bitten also Gott, als Mörder zu fungieren. So wird Moral zur Doppelmoral.

Gläubige fordern: "Keine Minute früher und keine Minute später als von Gott vorgesehen." Mit welchem Recht werden also Koma-Patienten jahrelang künstlich am Leben erhalten, wenn Gott nach Ansicht der Gläubigen schon lange deren Tod vorgesehen hat? Woher soll ein Arzt wissen, welche Minute Gott für den Todeszeitpunkt vorgesehen hat, so dass er zum "genau richtigen" Zeitpunkt die lebenserhaltenden Geräte abschaltet? Und warum gehen dann diese Gläubigen auf die Barrikaden, wenn die lebensverlängernden Geräte abgeschaltet werden, wenn also ein Arzt eigentlich nur als Handlanger von Gottes Wille fungiert? Manchen Gläubigen reicht eine Moral nicht, sie brauchen die Moral gleich doppelt, Doppelmoral eben.

Warum also gibt es ein Gesetz, das Sterbehilfe verbietet? Ich sehe dafür nur zwei mögliche Gründe, nämlich, dass die Religion unseres Kulturkreises jegliches Töten verbietet und dass in unserer jüngeren Geschichte unter dem Vorwand der Euthanasie viel Unrecht geschehen ist.

Über den Missbrauch der Euthanasie haben sich schon viel schlauere Menschen als ich den Kopf zerbrochen. Ich denke, dass Sterbehilfe unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs mit strengen gesetzlichen Auflagen möglich sein könnte. Die Schauspielerin ist kein Einzelfall, sie befindet sich mit ihrem Glauben im Schoß der Kirche. Wer einerseits darum betet, dass Gott Sterbehilfe leisten soll und andererseits Menschen Sterbehilfe verbieten will, hat meiner Meinung jegliche Kompetenz verspielt, zum diesem Thema und anderen ethische Fragen ernsthaft mitzureden. Warum glauben genau die, unter deren Herrschaft und auf deren Verlangen wahrscheinlich mehr Hexen und Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt als im 3. Reich Menschen durch Euthanasie ermordet wurden, ein Recht darauf zu haben, bei Leben und Tod kompetent mitreden zu dürfen?

Die Religionsgemeinschaften mögen für ihre Mitglieder Richtlinien bezüglich Sterbehilfe festlegen. Die Forderung aber, dass diese Richtlinien für alle Menschen gelten sollen, halte ich für eine Arroganz, der ich mich mit aller Kraft widersetzen möchte. So lange ich geradeaus denken kann, möchte ich mir meinen Verstand nicht von Esoterikern verbiegen lassen.

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