Während der Krieg ausbricht, liegst du noch leicht verfault mit vielen anderen in einem Massengrab unter der Erde. Und während sich deine zukünftigen Kameraden mit der Front immer mehr zurückverlagern, während sie laut Befehl die alten Gräben zuschaufeln und in den neuen -weiter hinten- Deckung suchen, noch bevor der Oberst zum Angriff schreit, verlassen die letzen Würmer deinen Körper.

Irgendwann kommt eine Vorhut zu deinem Grab, betet ein paar Worte, holt euch Tote aus der Grube und legt euch irgendwo zwischen die toten Feinde auf die staubige Erde. Du stinkst zwar immer noch, aber während sich die Front auf dich zubewegt, beginnen die Vorbereitungen zu deinem Leben. Die Vögel kommen vorbei und stecken dir so lange fehlende Fleischstückchen in Armen, Beine und Wangen, bis du endlich komplett bist. Etwas später, kurz vor der Schlacht kommt ein Soldat vorbei, legt dein Gewehr neben dich und weint, denn er weiß, dass er dich als guten Kameraden schätzen wird. Die Tränen deines Kameraden rollen in die Augen zurück, er schreit erschreckt auf, als er dich sieht, und geht weg, ohne zu wissen, dass du tot bist.

Endlich beginnt um dich herum die große Schlacht. Schon erwachen neben dir die ersten Toten zum Leben, und so wird es auch für dich, mein Freund, Zeit dein Leben zu beginnen. Das Blut sickert aus dem Sand und dem Kampfanzug in die Wunde auf deiner Brust, du zuckst ein erstes Mal, nimmst dein Gewehr, taumelst hoch, stößt einen Schrei aus und schießt die Kugel aus deiner Brust in den Lauf deines Feindes. Und sofort kämpfst du, du ahnst, dass du dein Leben jetzt erst begonnen hast und dass dir bis zu deiner Geburt nur wenig Zeit bleibt, dein Leben zu genießen. Und du weißt, dass du deinen Feind zu hassen hast, etwas, was du im Lauf deines kurzen Lebens vergessen wirst. Aber noch weißt du es und handelst danach: Du kämpfst, du hast nämlich nichts zu verlieren, du ziehst dich immer mehr zurück und in deinem Gewehr sammeln sich immer mehr Kugeln, die von Steinen, vom Boden und von den plötzlich erwachenden Feinden stammen, solange, bis du die vollen Magazine durch leere auswechseln musst.

Während des Krieges kennst du viele Kameraden, neben denen du im Dreck liegst, mit denen du bei jedem Angriff zurückstürmst und denen du hilfst, bevor sie verwundet werden. Doch auch diese Zeit geht vorbei: Irgendwann stehst du nahe der Heimat vor dir völlig unbekannten Menschen, die deine Kameraden waren. Und noch bevor der Krieg ganz plötzlich zu Ende ist, vertauschst du die Uniform mit der Zivilkleidung, gibst dein Gewehr ab und fährst mit dem Zug in deine dir vertraute Heimatstadt.

Schon von Weitem siehst du zum ersten Mal deine Frau und winkst ihr zu, denn du ahnst, dass du sie nun das erste Mal siehst. Nachdem der Zug still steht, sprichst du mit ihr aus dem Fenster die ersten Worte, dann kommt sie in dein Abteil und begrüßt dich mit einem Kuss. Ihr plaudert etwas miteinander, bis es Zeit wird, nach Hause zu gehen.

Die erste Zeit seid ihr etwas niedergedrückt, denn ihr wisst, dass du erst vor Kurzem aus dem Krieg heim gekommen bist. Doch mit dem unerwarteten Ende das Krieges verliert ihr euere Niedergeschlagenheit und verlebt zusammen euere glücklichste Zeit. Und je glücklicher ihr werdet, desto näher rückt der Tag der Hochzeit. Kaum sind die Flitterwochen vorbei, als ihr direkt von der Hochzeitsnacht zur schon lustigen Hochzeitsgesellschaft geht und dort mit einem Walzer begrüßt werdet. Am Vormittag bringt euch dann ein geschmückter Wagen zur Kirche und zum Standesamt und von dort jeden zu seinen Eltern nach Hause. Einen Tag später, am Polterabend holt ihr die Porzellanscherben aus der Mülltonne, breitet sie am Boden aus und fangt die fertigen Tassen und Teller auf, die ihr dann für wenig Geld an eine Porzellanfabrik schickt.

Langsam wird es aber nun für euch Zeit, die Hochzeitsvorbereitungen zu treffen. Ihr räumt eure Wohnung aus und lasst die Möbel von einem Auslieferungslager abholen. Bald darauf versuchst du, die Wohnung los zu werden. Nach einer Zeit bist du dir schon nicht mehr sicher, ob du das Mädchen je geheiratet hast. Irgendwann sehr ihr euch das vorletzte Mal, und bevor du dich von ihr verabschiedest, freut sie sich über die Blumen, die du von ihr nimmst. Nach dem letzten Treffen vergisst du, sie je gekannt zu haben. Du begegnest ihr zwar noch öfters, drehst dich vielleicht sogar nach ihr um, kennst sie aber nicht mehr.

Und während du jünger wirst, beginnt deine große Zeit des Vergessens: Du vergisst den Feind aus dem Nachbarland zu hassen, du vergisst immer mehr von deinem Beruf, bis du am Ende deiner Schulzeit sogar nicht mehr weißt, welchen Beruf du ergreifen sollst. Auch die Mädchen werden dir immer gleichgültiger. Am Schwierigsten fällt es dir, jeden Tag in der Schule zu vergessen, vor allem das Rechnen. Unbekümmert wirst du jünger, verlernst das Schreiben und Schwimmen. Am letzten Schultag gehst du begleitet von deiner Mutter mit einer großen, mit Süßigkeiten angefüllten Schultüte stolz nach Hause. Trotzdem bist du traurig, deine Freiheit erahnend.

Und auch jetzt vergisst du, bald kannst du nicht mehr Radfahren, du verlernst das Gehen und Sprechen und sogar die Bedeutung des Wortes Mama weißt du bald nicht mehr. Du kannst nur noch schreien und auch das verlernst du am dem Tag, an dem du in die Geborgenheit des Mutterschoßes geboren wirst.

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