Nicht um politische Alternativen zu referieren, sondern wider den Stachel zu löcken, trat auf Einladung des Kreisverbandes Rosenheim der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Helmut Pritschet aus Tuntenhausen nach längerer kabarttistischer Abstinenz im Nebenzimmer des Mareis in Kolbermoor wieder auf mit seinem neuen Programm "Kategorischer Indikativ". Diesmal hatte er als Co-Satiriker Wolfgang Orlowski mitgebracht und in ihm seinen kongenialen Partner gefunden. Wenn es gegen Kirche, CSU (aber auch SPD), dörflichen Gruppenzwang und konservativen Kleingeist geht, macht Pritschet aus seinem Herzen keine Mördergrube und holt zu einem bayerisch-derben Rundumschlag aus, ganz anders sein intellektueller, hochdeutsch artikulierender Partner Orlowski.
Ein Höhepunkt des vergnüglichen Abends war die Moderation der virtuellen Misswahlen in Transvesting, bei denen Titel in verschiedenen Sparten vergeben werden. Siegerinnen sind unter anderem Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast als Miss-Ernte wegen ihrer vergeblichen Förderung ökologischer Produktion und ihr bayerisches Ex-Pendant Barbara Stamm. Weil letztere damals Tiermehl als uneingeschränkt vertrauenswürdiges Tierfutter propagierte verleiht Pritschet ihr den Titel Miss-Trauen. Bundesgesundheitsministerin wird zur Miss-Wirtschaft gekürt, während Angela Merkel zur Miss-Griff wird. Natürlich kommt die Schulministerin Monika Hohlmeier ob der aktuellen bayerischen Bildungspolitik nicht ungeschoren davon: Sie erringt den Titel Miss-Bildung.
Pritschet hat sich weiterentwickelt und spielt auf seiner Klaviatur auch leisere Töne. Der krachlederne Derblecker und Grantler kann sich zum nachdenklichen, ja fast lyrischen Darsteller wandeln. Schade nur, dass solche Kleinkunst vor zu wenig Publikum dargeboten wurde. Neben einer zwar kleinen, aber treuen Fangemeine wagten nicht allzuviele Neue den Schritt ins Nebenzimmer.
Auf Einladung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) trat Pritschet. Obwohl er eigentlich kein Kabarett mehr machen wollte, wieder auf. Und er war besser denn je. Selbstbewußt, mit betonender Gestik und Mimik trug er seine Texte vor. So frotzelte er über die Beamten bei Passkontrollen im Urlaub, wenn sie seinen Wohnort lesen. Dabei verwandelte er sich regelrecht - unterstützt durch Strickjacke und Filzhut samt Edelweißanstecker und Feder - in eine seiner Figuren: den Broadmoa Gust. Der Bürger ist fest von der politischen Führung seines Ortes Transvesting überzeugt und hält sich strikt an die drei Eckpfeiler. Dabei steht Pritschet vor seinem Notenständer auf dem seine texte liegen und berichtet aus seinem, Broadmoa Gusts, Leben und Erfahrungen. Mit schnellen Sätzen baut Pritschet dabei immer wieder gekonnt Spannung in seinen Geschichten auf, die kurz durch eine pointierte Bemerkung gelöst werden, ehe der eigentliche Witz kommt. Unterstützt wurde Pritschet bei zwei Episoden von seinem Freund Wolfgang Orlowski. Bühnenreif parodierten sie ein Gespräch zwischen Pfarrer und Besucher.
"So werden alle Löwen schneller"
GEW-Feier mit Kabarettist Helmut Pritschet
Der Informatiker stellte High-Tech-Möglichkeiten vor, das Weihnachtsfest zu gestalten. Aus "Christmas" wurde bei ihm "Sybermas", gefeiert wird virtuell einschließlich des Festbratens und der Plätzchen: "Da nimmt man überhaupt nicht zu." Außerdem könnte nach
Pritschets eine Weihnachts-CD alle Probleme am Bildschirm erledigen, vom nadelnden Christbaum über flackernde Kerzen und Weihnachtslieder bis zum Packpapier. Der Menüklick "Schließen" besorgt das Aufräumen, "Programm statt Baam".
Roß und Reiter wurden genannt bei den Themen "Geographie" und "Heimatliche Bräuche": "Ostermünchen ist da, wo die SPD-Plakatständer ohne Plakate herumstehen. Und Tuntenhausen ist da, wo die Plakate mitsamt de Ständer verschwindn." Politische Grundsatzerkenntnisse
fehlten nicht: "Demokratie is a guade Sach, wenns von de richtign Manna gmacht wird." Pritschets Kunstfigur der "Broadmoa Gust" ist ganz auf der Linie der bayerischen Schulpolitik: "I laß meine Buam ned a'f so a Gynasikum." Eine hoffnungslose Ökobilanz in Sachen Erdöl, Rüstung;kernkraft, Rohstoffe und Chemie endete in der Sackgasse: "Drum bring i mi um."
"Wos braucha mir an Jugendtreff?"
Während engagierte Grüne-Politiker- und Wahlkandidaten ihre Schwerpunkte zu Ökologie, Ökonomie, Verkehr und Kultur vortrugen, gab Helmut Pritschet seine Sicht der Dinge bzw. die Sicht seiner Kunstfigur, des "Broadmoa Gust", zum besten. Da blieb kein Thema ausgespart. Seien es die Wahlplakatständer der SPD, die in seiner Gemeinde wahrhaftig meist ohne Plakate dastünden, oder der Jugendtreff: "Und überhaupt, wos braucha mir an Jugendtreff?". Natürlich erwartet
"der Gust" von einem Dicso-Bus nach Rosenheim nur vereins- und wirtsschädigende Auswirkungen. Mit: "Dös war scho immer so" wird dabei allen gefährlichen Neuerungsbestrebungen konsequent und kompromißlos die Stirn geboten.
Gegen Zone-30-Vertreter und andere Geschwindigkeitsbegrenzer löst der "Broadmoar Gust" die Verkehrsprobleme mit einer äußerst eigenwilligen Auslegung der Evolutionstheorie: "Es bleiben eh' nur die Widerstandsfähigsten
übrig." Daß der "Broadmoa Gust" mit seiner Meinung über die Roten und Grünen nicht hinterm Berg hielt, versteht sich. Der von bodenständiger "Mir-san-mir-Philosophie" strotzende "Broadmoa Gust" fand denn auch bei seinem Publikum durchaus den verdienten Beifall.
24.9.1998